Nationalfeiertagsansprache am 10.10.2021 von Präsidentin Tsai Ing-wen

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Präsidentin Tsai Ing-wen hält ihre Nationalfeiertagsansprache (Foto: CNA)
Präsidentin Tsai Ing-wen hält ihre Nationalfeiertagsansprache (Foto: CNA)

Nationalfeiertagsansprache von Präsidentin Tsai Ing-wen am 10.10.2021

übersetzt von Günter Whittome

Sehr geehrter Herr Parlamentspräsident Yu Shyi-kun, verehrte Gäste, liebe Freun-dinnen und Freunde, liebe Bürgerinnen und Bürger vor den Fernsehbildschirmen und bei der Liveübertragung im Internet: ich grüße Sie alle!

Heute ist der Nationalfeiertag im Jahr 110 der Republik China. Jedes Jahr an diesem Tag versammeln wir uns, um den Geburtstag unseres Landes zu feiern.

Mit feierlichen Gefühlen danken wir den Generationen vor uns, die auf diesem Stück Erde gelebt haben. Ob sie nun früher oder später hierher gekommen sind, sie haben alle für diese wunderschöne Heimat Opfer erbracht. Wir, die wir heute hier in Taiwan leben, sind zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden und haben immer wieder neue Bewährungsproben bestanden.

Seit Mai dieses Jahres, als in Taiwan der Ausbruch der Pandemie begann, stehen wir vor einer sehr ernsten Herausforderung. Mehr als 800 Bürgerinnen und Bürger haben ihr Leben verloren. Sie sind unsere Familienangehörigen, unsere guten Freunde und Teil unserer Schicksalsgemeinschaft. An dieser Stelle möchte ich zu Beginn meiner Ansprache allen betroffenen Familienangehörigen meine aufrichtigste Anteilnahme aussprechen.

Während dieses Pandemieausbruchs haben wir wieder einmal das hohe Maß an Selbstdisziplin und Vernunft des taiwanesischen Volkes gesehen.

Wie heiß auch immer das Wetter gewesen sein mag, so haben alle immer daran gedacht, eine Maske aufzusetzen. Wo auch immer man hingegangen ist, haben alle immer automatisch den QR-Code gescannt und den erforderlichen Abstand zu anderen Personen eingehalten. Als die Impfstoffe eintrafen, haben alle, wie von den Behörden vorgesehen, sich der Reihe nach impfen lassen. Ich danke Ihnen allen für Ihre Bemühungen und Ihre Kooperation und als Regierung nehmen wir dies keineswegs selbstverständlich hin.

Ich möchte insbesondere der Foxconn/Yonglin-Stiftung danken, dem Unternehmen Taiwan Semiconductor (TSMC) und der buddhistischen Tzu Chi-Stiftung für ihre Zusammenarbeit mit der Regierung. Ich möchte mich auch noch einmal bei allem medizinischen Personal für ihre Bemühungen bedanken. Ich möchte mich umso mehr noch einmal beim gesamten taiwanesischen Volk bedanken, dass Sie alle in einer solch schwierigen Situation zusammengestanden sind, um unser Land vor Schaden zu bewahren. Es ist unserem demokratischen Bewusstsein zu verdanken, dass wir unsere geliebte Heimat vor der Pandemie verteidigt haben.

Wir haben uns nicht nur selbst geholfen, sondern auch Unterstützung von unseren internationalen Freunden erhalten. Länder wie Japan, die USA, Litauen, die Slowakei, Tschechien und Polen haben trotz der schwierigen Lage in der Pandemie mit einer instabilen Versorgung mit Impfstoffen uns ihre helfende Hand gereicht.

Heute sind nicht nur Litauen, dass bald eine Vertretung in Taiwan eröffnen wird, sondern auch andere Länder hier vertreten. Dies verkörpert unser Motto der „Großen Allianz der Demokratien, sich der Freundschaft der Welt versichern“. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, alle anwesenden Ehrengäste mit herzlichem Applaus willkommen zu heißen und den Vertreterinnen und Vertretern dieser Länder meinen tiefsten Dank auszusprechen.

Wir Taiwanesen haben eine sehr schöne Tradition: wir vergessen nicht, was andere Gutes für uns getan haben. Im vergangenen Jahr haben wir unter dem Motto „Taiwan can help“ anderen Ländern Masken geschickt. In diesem Jahr haben sie uns Impf-stoffe geschickt, „Impfstoffe der Freundschaft“, das ist das, was wir als „Kreislauf des Guten“ bezeichnen. Ich möchte hier gegenüber der internationalen Gemeinschaft ein Versprechen abgeben: Taiwan wird unbedingt in der internationalen Gemeinschaft seinen Beitrag leisten, damit dieser „Kreislauf des Guten“ ohne Unterbrechung fortgesetzt wird.

Im Laufe dieses einen Jahres, hat die Pandemie zwar die Binnennachfrage beein-trächtigt, nicht jedoch die Dynamik unseres Wachstums.

Der weltweite Mangel an Halbleiterchips hat Taiwans Bedeutung in den Lieferketten noch deutlicher gemacht. Die veränderte Lage im indopazifischen Raum hat ebenfalls dazu geführt, dass Taiwans Schlüsselposition in der Region neue Beachtung gefunden hat.

Die Beziehungen zwischen Taiwan und Japan haben sich weiter vertieft, die Beziehungen zur Europäischen Union sind immer enger geworden, die Verhand-lungen über ein Rahmenabkommen über Handel und Investitionen mit den USA (TIFA) sind wieder aufgenommen worden, und Taiwan hat seinen Antrag auf Aufnahme in das transpazifische Handelsabkommen CPTPP eingereicht. In Washington, Tokio, Canberra und Brüssel ist Taiwan nicht mehr nur ein Randthema. Immer mehr gute Freunde in den demokratischen Staaten sind bereit, hervorzutreten und Taiwan zu unterstützen.

Wir glauben an unsere eigenen Fähigkeiten, wir reichen gleichgesinnten Partnern die Hand und leisten unseren Beitrag für die internationale Gemeinschaft. Taiwan hat nicht mehr das Image, das „Waisenkind Asiens“ zu sein. Heute können wir als die „Insel der Widerstandsfähigkeit“ mutig Herausforderungen annehmen.

Doch je besser es uns geht, umso größeren Druck übt China auf uns aus. Daher möchte ich alle Bürgerinnen und Bürger daran erinnern: Wir können es uns nicht leisten, in unseren Anstrengungen nachzulassen.

In der internationalen Politik spielen sich gerade dramatische Veränderungen ab. Die Expansion des Autoritarismus führt zu erhöhter Wachsamkeit aller Staaten auf der Welt, die die Werte der Freiheit und Demokratie unterstützen. Und Taiwan steht an vorderster Front in der Verteidigung der Demokratie.

Und gerade deshalb sieht sich die Republik China zu diesem Zeitpunkt angesichts der veränderten internationalen Lage mit der kompliziertesten Situation seit 72 Jahren konfrontiert. Jeder Schritt, den wir tun, wird unweigerlich mitbestimmen, in welche Richtung sich die Welt künftig entwickelt. Und die Orientierung, die die Welt künftig einnimmt, hat unweigerlich Auswirkungen auf die Zukunft Taiwans.

Die Lage in der Region des Indopazifik wird immer angespannter und komplexer. Die Behörden von Beijing haben die volle Kontrolle über Hongkong übernommen und nachdem sie die Menschen, die für Demokratie eintreten, unterworfen haben, haben sie auch ihre politische und wirtschaftliche Ausrichtung, die seit dem Einleiten der Reform- und Öffnungspolitik galt, verändert.

Gleichzeitig wird die regionale Ordnung im Südchinesischen Meer und im Ostchi-nesischen Meer herausgefordert. Im südwestlichen Luftraum Taiwans ist die Luft-waffe des kommunistischen Chinas dazu übergegangen, regelmäßige Aktivitäten durchzuführen, die unsere nationale Sicherheit und die Flugsicherheit ernsthaft beeinträchtigen.

Und die demokratischen Staaten bemühen sich gerade, die Grundlage ihrer Zusam-menarbeit untereinander in allen Bereichen zu verstärken, um auf die veränderte regionale und globale Lage zu reagieren. Die G7, die Nato, die Europäische Union und der „QUAD-Dialog“ zwischen den USA, Japan, Indien und Australien sorgen sich unabhängig voneinander intensiv um Frieden und Sicherheit in der Taiwan-Straße. Sie sorgen sich ebenfalls um die aktuelle Lage im Indopazifik und um Frieden und Stabilität in der Region und beobachten aufmerksam, ob diese von China einseitig zerstört werden.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen: Taiwan ist willens im Interesse der friedlichen Entwicklung in der Region seinen eigenen aktiven Beitrag zu leisten. Was unsere Position zu den Beziehungen zwischen beiden Seiten der Taiwan-Straße betrifft, so sind wir unverändert guten Willens und wozu wir uns verpflichtet haben, gilt nach wie vor. Wir treten für die Beibehaltung des Status Quo ein und wir werden uns mit aller Kraft einer einseitigen Veränderung des Status Quo widersetzen.

Ich möchte auch betonen, dass Differenzen zwischen beiden Seiten der Taiwan-Straße durch gleichberechtigten Dialog gelöst werden müssen.

Wir wünschen uns eine Entspannung in den Beziehungen zwischen beiden Seiten der Taiwan-Straße. Wir werden nicht unbedacht vorgehen, aber man soll auch keinesfalls annehmen, dass sich das taiwanesische Volk Druck beugen wird. Wir werden unsere Landesverteidigung weiter ausbauen und unsere Entschlossenheit zur Selbstvertei-digung demonstrieren. Wir werden sicherstellen, dass niemand uns zwingen kann, den Weg zu gehen, den China für uns vorgesehen hat. Denn in dem Weg, den China vor-gezeichnet hat, gibt es keinen Platz für die demokratische und freiheitliche Lebens-weise Taiwans, und es gibt noch weniger Platz für die Souveränität seiner 23 Millionen Menschen.

Seitdem die Republik China 1949 in Taiwan Fuß gefasst hat, sind schon 72 Jahre vergangen. In diesen 72 Jahren hat sich unser Land wirtschaftlich von einem armen zu einem wohlhabenden Land entwickelt. In der Politik haben wir uns von einem autori-tären zu einem demokratischen System entwickelt und unsere Gesellschaft ist von einer uniformen zu einer pluralistischen Gesellschaft geworden. Schritt für Schritt haben wir den Erfolg der Republik China in Taiwan geschaffen, das sich heute in völlig anderer Gestalt zeigt.

Die Art, wie sich unser Land heute präsentiert, wird von Menschen in aller Welt gerühmt. Es ist das Ergebnis der gemeinsamen Anstrengungen der Menschen mehrerer Generationen. Dieses Verdienst kann nicht einer einzelnen Gruppe von Menschen zugeschrieben werden und es gibt keine Gruppe, die davon ausgeschlossen ist.

Während der Quemoy-Krise von 1958 [28. August: zurückgeschlagener Angriffs-versuch der VR China auf die Insel Kinmen] haben unsere heldenhaften Truppen ungeachtet ihrer jeweiligen Herkunft zusammen gekämpft. Unter den Fachleuten in einem der Grundpfeiler unserer Wirtschaft, der Halbleiterindustrie, wird kein Unter-schied gemacht aufgrund einer bestimmten Parteizugehörigkeit. Cheng Nan-jung war ein „Festländer“ [der aus Protest gegen die Beschränkung der Pressefreiheit in einem Akt der Selbstverbrennung in den Redaktionsräumen seiner Zeitschrift 1989 ums Leben kam], [die eingebürgerte Schauspielerin und Fotomodell] Larisa Bakurova stammt aus der Ukraine, die Mutter [der Schauspielerin] Wen Chen-ling ist Philip-pinin, ihr Vater zur Hälfte Hakka und zur Hälfte Japaner. Und der kürzlich verstor-bene Baseballstar Wang Kuang-hui stammt von der indigenen Minderheit der Ami.

Wir ärgern uns, wenn unsere Nationalflagge nicht zu sehen ist. Wir werden alle zornig, wenn wir ausgegrenzt werden. Das sind unsere gemeinsamen emotionalen Erfahrungen des Ruhms und der Demütigung. In unserem toleranten Land spielt es keine Rolle, wer zuerst hier war und wer erst später hier ankam. Niemand hat eine Erbsünde zu tragen. Und niemand wird aus unserer Gemeinschaft ausgeschlossen, weil er oder sie anderer Herkunft ist. Wer dieses unsere Land respektiert und sich mit ihm identifiziert, wird von Taiwan immer mit offenen Armen aufgenommen. Wir heißen alle Menschen willkommen und schließen alle Menschen mit ein.

Im Verlaufe des Entwicklungsprozesses der vergangenen 72 Jahre hat sich das Gesicht unseres Landes enorm gewandelt. Über diese Veränderungen hinaus, gibt es auch Dinge, an denen wir bis heute unerschütterlich festhalten. Dies sind die Sicherung unserer Souveränität und die Verteidigung des Landes.

Diese Grundsätze sind die Schlüsselfaktoren dafür, dass Taiwan unerschütterlich geblieben ist und nie wankte und dass die Demokratie Früchte tragen konnte. Und ebenso seit 72 Jahren verteidigen unsere Streitkräfte unsere Heimat, dieses Land – der Grund, weshalb wir zu kämpfen bereit sind. Auch  daran hat eine Generation nach der anderen des taiwanesischen Volkes festgehalten.

Diese Standhaftigkeit war nie das Monopol einer bestimmten Partei. Heute sind der Vorsitzende der Kuomintang-Partei, Eric Chu, anwesend sowie der Vorsitzende der Taiwanesischen Volkspartei, Ko Wen-je und die Vorsitzende der New Power Party, Chen Jiau-hua.

Dass Sie alle heute hier anwesend sind, ist eine wunderschöne Demonstration von Taiwans Demokratie. In der Politik ist es ganz normal, dass Parteien miteinander konkurrieren. Doch sobald es um Themen der nationalen Würde und der Zukunft des Volkes geht, müssen wir zusammenstehen. Wir sind es den künftigen Generationen der Taiwanesinnen und Taiwanesen schuldig, dass wir unsere Souveränität und unsere demokratische und freiheitliche Lebensweise verteidigen.

Daher müssen wir übereinkommen, dass wir immer an unserer freiheitlichen und demokratischen Verfassungsordnung festhalten werden. Wir werden immer daran festhalten, dass die Republik China und die Volksrepublik China jeweils nicht der anderen Seite unterstehen. Wir werden daran festhalten, es niemandem zu erlauben, unsere Souveränität zu verletzen oder sie sich einzuverleiben. Und wir werden daran festhalten, dass über die Zukunft der Republik China in Taiwan gemäß dem Willen des gesamten taiwanesischen Volkes entschieden wird.

Das Festhalten an diesen vier Grundsätzen ist die rote Linie, die uns das taiwanesische Volk auferlegt hat. Diese vier Grundsätze sind auch unser größter gemeinsamer Nenner. Wir bauen auf diesem gemeinsamen Nenner auf und haben die Verpflich-tung, diesen Konsens weiter auszubauen. Wir stehen solidarisch zusammen und wollen so den künftigen Herausforderungen begegnen.

Wir tragen eine gemeinsame Verantwortung: wir müssen sicherstellen, dass die jungen Menschen unseres Landes sich auch in künftigen Generationen in Freiheit weiter und voller ungestümer Energie entfalten können.

Seitdem ich 2016 mein Amt angetreten habe, habe ich mich für die Diversifizierung unseres Handels eingesetzt, für die Innovation unserer Industrien, für die Energie-wende, für die Ausbildung unserer Fachkräfte und deren Anwerbung von außen, damit unsere Bürgerinnen und Bürger einen positiven Wandel in der Wirtschafts-struktur Taiwans erkennen können.

In den vergangenen Jahren haben wir angesichts der Veränderungen in der Welt-wirtschaft die im Ausland tätigen taiwanesischen Geschäftsleute dabei unterstützt, nach Taiwan zurückzukehren, um den Wandel der Industrien zu beschleunigen. Wir wollen in einem Kraftakt die seit 30 Jahren bestehende Situation umkehren, da wir zu sehr von einem einzigen Markt abhängig gewesen sind, was unser Wirtschafts-wachstum verlangsamt hat und dazu führte, dass Kapital und Fachkräfte abgewandert sind.

Heute ist Taiwan in seiner Wirtschaftsleistung nicht nur an die Spitze der vier asiatischen Tigerstaaten zurückgekehrt, sondern zieht auch sehr viel internationale Aufmerksamkeit auf sich. Dies zeigt, dass Taiwan imstande ist, ein wirtschaftliches Entwicklungsmodell zu verfolgen, das noch robuster und noch souveräner ist.

Wir haben einen ökonomischen Weg gefunden, bei dem wir nicht mehr alleine von einem einzigen Markt abhängig sind und darin liegt der Schlüssel, dass Taiwans Wirtschaft seinen Platz in der Welt finden wird und eine noch wichtigere Rolle spielen kann. Meine lieben Landsleute: das Tor zur Welt steht uns offen und wir werden diesen Weg entschlossen weitergehen, damit Taiwans Wirtschaft auch in den kommenden dreißig Jahren strahlen und blühen wird.

Neben der Einleitung des wirtschaftlichen Wandels haben wir viele Schwierigkeiten überwunden und zahlreiche Reformen eingeleitet. Wir haben die Sozialleistungen ausgeweitet, wir haben diplomatische Durchbrüche erzielt und die Reform der Landesverteidigung ist gerade im Gange. Vieles von dem, was wir in den vergang-enen Jahren geleistet haben und wofür wir uns eingesetzt haben, trägt nun Früchte, die für unsere Bürgerinnen und Bürgern und die ganze Welt sichtbar sind.

Viele Menschen fragen mich, was sollen wir künftig noch für Taiwan tun? Meine Antwort ist ganz einfach: Außer mutig den Weg der Reformen und der Stärkung unseres Landes weiterzugehen, müssen wir für die künftige Entwicklung unseres Landes eine langfristig sichere Grundlage schaffen. Die Republik China in Taiwan ist stark genug und die Gesellschaft ist stabil genug, um auf die vor uns liegenden Veränderungen und Herausforderungen vorbereitet zu sein.

Wir müssen uns den Themen stellen, die der taiwanesischen Gesellschaft schon lange Probleme machen, die die Gesellschaft spalten und bei denen nur schwer ein Konsens erreicht werden kann. Umso mehr müssen wir einen Konsens herstellen und Lös-ungen finden, die die große Mehrheit der Bevölkerung akzeptieren kann, um so diese seit vielen Jahren bestehenden Differenzen zu überwinden. Nur so kann Taiwan die Sorgen der Vergangenheit hinter sich lassen und nach vorne schauen.

Wir müssen auf die Bedürfnisse der nationalen Entwicklung reagieren, wir müssen uns selbstkritisch mit den wichtigen Fragen der Organisationsstruktur des Regierungs-systems, der Lokalverwaltungen, der Planung der Bodennutzung und regionalen Entwicklung beschäftigen und Anpassungen vornehmen, damit wir in der staatlichen Verwaltung die größtmögliche Effizienz erreichen können und einen Zustand, der den Volkswillen am besten widerspiegelt.

Darunter ist die Reform des Verfassungssystems eine der Aufgaben, die wir angehen müssen. Die Parlamentskommission für Verfassungsänderungen wurde schon gebildet. Bei der jetzigen Verfassungsreform werden wir auf der Grundlage der Verfassung der Republik China und unter der Voraussetzung, unser freiheitlich und demokratisches Verfassungssystem zu bewahren, vorgehen.

Ich weiß, dass die Hürden für Verfassungsänderungen sehr hoch sind. Daher appelliere ich an die Regierungs- und Oppositionsparteien, vorgefasste Haltungen abzulegen, da es bei den Themen der Verfassungsreform um die effiziente Regierbarkeit unseres Landes geht. Wir müssen daher ernsthafte Diskussionen zu den Themen der Verfassungsreform führen, um möglichst große Übereinstimmungen zu finden.

Das Projekt der Transformationsgerechtigkeit, die von der Geschichte hinterlassenen Wunden und die Frage, was davon gut und was schlecht ist, wie die Wunden geheilt werden können und wie man die Geschichte bewertet, stellen eine große Heraus-forderung an die Weisheit und den Mut der heute lebenden Generationen dar.

Wir müssen auch darüber nachdenken, in welche Richtung sich die Energiepolitik unseres Landes bewegen soll.

Kein Land kann mit einer unbeständigen Energiepolitik die Dynamik kontinuierlichen wirtschaftlichen Wachstums aufrechterhalten. Wir folgen den internationalen Haupt-entwicklungstrends und haben erklärt, bis zum Jahr 2050 das Ziel von Null Netto-emissionen erreichen zu wollen. Dafür müssen wir gemeinsam mit allen gesell-schaftlichen Gruppen einen Fahrplan erarbeiten, die Chancen der aktuellen Ent-wicklungstrends nutzen, frühzeitig Risiken bewerten und ein System der Strom-versorgung aufbauen, das flexibler ist und besser auf die Anforderungen reagieren kann. Dabei geht es nicht nur um Konkurrenzfähigkeit sondern auch um einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt.

Nur indem wir diese wichtigen Themen angehen, können wir die Grundlage für dauerhafte Stabilität schaffen und der jungen Generation ein besseres Land hinter-lassen. Leider ist bisher die Diskussion über diese gesellschaftlichen Themen, bei der es eigentlich nur um Unterschiede bei den Maßnahmen auf diesem Weg geht, wegen der unterschiedlichen Positionen der Parteien oder aufgrund divergierender politischer Identifikation leicht in Auseinandersetzungen um ideologische Prinzipienreiterei abgeglitten. Diese Auseinandersetzungen sind der Entwicklung unseres Landes nicht förderlich, sie führen nur zu einer Verschwendung unserer Ressourcen und lassen uns weiter auf der Stelle treten.

Daher möchte ich in den weiteren Jahren meiner Amtszeit alle gesellschaftlichen Kräfte einbringen, um einen Weg zu finden, wie wir gemeinsam Lösungen zu diesen Fragen finden können. Wir wollen eine Zusammenarbeit zwischen der Gesellschaft und der Politik, um bei unterschiedlichen Ansichten den größten gemeinsamen Nenner zu finden und so die schwierigen Themen eines nach dem anderen zu lösen. So wollen wir für die großen Richtungsentscheidungen der Entwicklung unseres Landes die bestmögliche Grundlage schaffen.

Das Jahr 2021 war ein Jahr voller Herausforderungen, aber auch ein Jahr, das uns sehr bewegt hat. Bei den Olympischen Spielen in Tokio im Sommer dieses Jahres haben Taiwans Athletinnen und Athleten beispiellose Leistungen erzielt. Am heutigen Geburtstag unseres Landes möchte ich allen unseren Sportlerinnen und Sportlern sowie den sie unterstützenden Teams meinen Dank aussprechen. Ich danke euch dafür, dass ihr Taiwan in der Welt sichtbar gemacht habt.

Während der olympischen Wettkämpfe hat das taiwanesische Volk wieder einmal sein Bewusstsein der Gemeinsamkeit unter Beweis gestellt. Ich weiß, es gibt Menschen, die glauben, dass immer, wenn sie zusehen, wird es in einer Niederlage enden. Immer wenn unsere taiwanesischen Athletinnen und Athleten an Wettkämpfen teilnehmen, trauen sie sich daher nicht, die Übertragungen anzuschauen und feuern sie nur im Stillen ganz für sich an. Ich weiß auch, dass manche Menschen, wenn sie die Wettkämpfe zum Bogenschießen anschauen, so nervös sind, dass ihr Herz noch schneller schlägt als das unserer Athletinnen und Athleten.

Genau das macht eine Schicksalsgemeinschaft aus. Sie ist wie ein unsichtbarer Faden, der uns alle miteinander verbindet, durch den wir Freude und Trauer miteinander teilen, Siege und Niederlagen.

Ich bin mir sicher, dass zu dem Zeitpunkt, als beim Kampf um Gold im Badminton-Männer-Doppel auf dem Fernsehbildschirm das „in“ auftauchte, viele aufgeschrien und sogar Tränen vergossen haben.

Wir haben sehr lange auf diesen Moment gewartet. Das Positive an Taiwan, Taiwans Selbstbewusstsein und Taiwans Mut haben lange darauf gewartet, von der Welt Anerkennung zu erfahren und von der Welt beachtet zu werden. Und im Sommer dieses Jahres haben wir genau dieses geschafft.

In den vergangenen Tagen flogen die Flugzeuge im Zuge der Vorbereitungen auf diesen Nationalfeiertag über den Himmel von Taipei hinweg und viele Menschen auf den Straßen hielten an, um nach oben zu schauen. Sie haben dabei unsere Luftwaffe gesehen, die unsere Heimat schützt und unser Land verteidigt.

Aber nicht nur die Luftwaffe, denn zu den vorbereitenden Manövern für den Nationalfeiertag waren viele Truppenteile auf den Straßen Taipeis unterwegs. Die die Wege freimachenden Pioniere, die Soldaten zur Beseitigung chemischer Kampfstoffe, die schnelle Eingreiftruppe der Militärpolizei auf ihren schweren Motorrädern sowie die vielen Kampffahrzeuge, die sonst nur selten auf unseren Straßen zu sehen sind, wir sehen sie nun alle in voller Einsatzbereitschaft hier vor uns auf der Chongqing South Road.

Viele Menschen greifen schnell zu ihren Handys, um sie zu fotografieren. Auch wenn man nicht genau weiß, um was für Truppenteile es sich handelt und man die Aus-rüstungen nicht benennen kann, so spürt man doch ein Gefühl der Beruhigung. Denn das sind unsere nationalen Streitkräfte. Unsere Streitkräfte beschützen unsere Heimat. Bei Katastrophen sind sie zur Rettung und in der Katastrophenhilfe im Einsatz. Wenn unsere Souveränität und unser Staatsgebiet und unsere freiheitliche Demokratie bedroht sind, dann setzen sie ihr Leben ein, um unsere Heimat zu schützen und um unser Land zu verteidigen.

Einer der für Taiwan im Jahr 2021 bewegendsten Momente war bei der Rückkehr unserer Heldinnen und Helden von den Olympischen Spielen in Tokio, als unsere Luftwaffe Mirage 2000 aufsteigen ließ, um sie in unserem Luftraum nach Hause zu begleiten.

Unsere Streitkräfte und die Heldinnen und Helden der Olympischen Spiele von Tokio repräsentieren heldenhaft unser Land. Ich hoffe, dass alle unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger an das Gute in Taiwan glauben, an die Bedeutung Taiwans glauben, an die Schicksalsgemeinschaft unserer 23 Millionen Menschen glauben und erhobenen Hauptes auf die Welt zugehen.

Lasst uns gemeinsam in Würde und voller Selbstbewusstsein nach vorne schauen! Lasst uns unser Schicksal selbst bestimmen, lasst uns Weltbürger sein und lasst uns Taiwan zu einem der Welt zugehörigen Taiwan werden. Ich wünsche der Republik China alles Gute zum Geburtstag und wünsche allen unseren Bürgerinnen und Bürgern Gesundheit, Frieden und Erfolg! Ich danke Ihnen.